Montag, 31. Oktober 2011

Tunesischer Frühsommer

Mit den Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung Tunesiens ist seit Sonntag ein weiterer Meilenstein im Prozess des arabischen Frühlings passé. Die Wahl ansich ist es, aber in welche Richtung sie sich auswirken wird, auf welchem Weg dieser Meilenstein tatsächlich anzutreffen sein wird, diese Entscheidung steht wohl noch bevor. Oder aber...

Die Situation präsentiert sich auf den ersten Blick postrevolutionär. Was auch ohne jegliche Blicke wohl mehr als logisch erscheint, stellt doch einen eigentlich beeindruckend rasanten demokratischen Fortschritt zur Schau: Das Parteienspektrum war bunt durchmischt und nicht sollte man auch übersehen, dass mit der "Volkspetition für Freiheit, Gerechtigkeit und Entwicklung" selbst eine konservative Liste der Anhänger und Freunde des gestürzten Präsidenten Ben Ali zugelassen war. Vor allem jedoch das Angebot an unabhängigen Listen, welche dennoch zumindest nominell an der Entwicklung der Verfassung teilhaben werden ("verfassungsgebend" ist ja per Nominklatur die gesamte Versammlung) sollte jede etablierte westliche demokratie mit Neid erfüllen. Von den nach derzeitigem Stand (27.10. 23:41) 27 Listen, die es in die Versammlung geschafft haben, sind 22 auf 5 oder weniger der insgesamt 217 Sitze vertreten, 15 besetzen derzeit gar nur ein Mandat.
Was zwar einerseits der Meinungspluralität in der Verfassungsentwicklung sehr zuträglich sein sollte, könnte doch vor allem mittelfristig zu einer Reduktion auf die wenigen bereits zum jetzigen Zeitpunkt, nur 9 Monate nach der Jasminrevolution, als Großparteien anzusprechenden Organisationen in der tunesischen Politik führen.
Positiv sind wohl die bisherigen Reaktionen der größeren Parteien auf das Wahlergebnis zu bewerten. Die eher bis deutlich linken Parteien in den "Verfolgerpositionen", die zwischen 7 und 14% erreichen konnten (Ausnahme ist die angesprochenen "Volkspetition", 8,6%, jedoch nicht links), aüßern sich zurückhaltend positiv über mögliche Regierungsbeteiligungen und sehr motiviert zum Thema Mitwirkung an der neuen Verfassung. Und auch der mit über 40% der Stimmen klare Wahlsieger Ennahda, in den europäischen Massenmedien meist verkürzt als "gemäßigte Islamisten", rudimentär wohl etwas treffender als Äquivalent einer christdemokratische Partei beschrieben, hat bereits angekündigt, möglichst alle politischen Kräfte in den Entwicklungsprozess Tunesiens einbinden zu wollen.

Einzig die Positionen der einzelnen Listen zu einer - wie auch immer gearteten - Beteiligung der reaktionären Ex-Genossen Ben Alis zeigt sich weniger enthusiastisch. Ein gewisses Mißtrauen dürfte hier wohl beiderseits schwer auszuräumen sein, zumal etwa die Gewinnerpartei Ennahda bis nach dem Sturz Ben Alis offitziellverboten war.

Es bleibt wohl nur abzuwarten, in welche Richtung sich die politische Ausrichtung, vor allem jedoch der politische FÜhrungsstil Tunesiens allgemein entwickeln wird. Die Postrevolution scheint einstweilen ebenso zügig und erfolgreich zu verlaufen wie die voangegangene Umwälzung. Nun wird sich die Art der Konsolidierung, welche wohl hoffentlich ebenso zügig zu erwarten ist, erweisen.

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